1828-1833
Militärexpedition in Euböa
Während des griechischen Unabhängigkeitskrieges (1821-1829) unterstützte die französische Armee das sich gegen das osmanische Joch aufbäumende Griechenland. Diese militärische Intervention – „Morea-Expedition“ genannt – hatte auch wissenschaftliche Ziele, was zur Entsendung von etwa zwanzig Wissenschaftlern – insbesondere Architekten und Geographen – führte, deren Arbeit wesentlich zur Entwicklung der griechischen Kartographie und Archäologie beitrug. Aus dieser Zeit stammt die erste kartografische Vermessung von Euböa. Sie erwähnt das Vorhandensein einer Kapelle und antiker Blöcke in Amarynthos, damals Kato Vathia genannt.
1891-1894
Dumm gelaufen!
Ein Team amerikanischer Forscher führte die ersten Ausgrabungen östlich der Stadt Eretria durch, scheiterte jedoch daran, die heilige Stätte der Artemis Amarysia zu lokalisieren. Die Archäologen kamen dann zum Schluss, dass die heilige Stätte nur wenige hundert Meter von Eretria entfernt liegen muss, wie bereits Strabo, ein Geograph des ersten Jahrhunderts nach Christus, angab.
1969
Die Suche eines jungen Epigraphikers aus Neuenburg
Denis Knoepfler, ein junger Archäologe und Epigraphiker aus Neuenburg, reist durch die Landschaft auf der Suche nach Hinweisen zum Standort der heiligen Stätte der Artemis, welchen er in der Nähe des Hügels „mit den alten Kirchen“ (Paleoekklisies) vermutet. Er führt dann eine erste sorgfältige Untersuchung durch und schreibt einen sehr detaillierten Bericht über seine Ergebnisse. Fast fünfzig Jahre vergingen, bevor Archäologen der Schweizerischen Archäologischen Schule in Griechenland und des Archäologischen Dienstes von Euböa ihm Recht gaben. Wenn er 1971, als er dieses Bild am Fusse des Hügels aufnahm, gewusst hätte, dass er genau an der Stelle des Artemis-Tempels stand…
1987
Erste Anhaltspunkte
Der archäologische Dienst Griechenlands entdeckte eine Opfergrube mit Hunderten von Terrakottafiguren und Vasen in Aghia Kyriaki, unweit des Hügels von Paleoekklisies, nahe dem modernen Dorf Amarynthos. Könnte dies die heilige Stätte sein? Man geht heute davon aus, dass es sich eher um ein modernes Versteck handelt. Wenn nämlich archäologische Objekte beim Bau eines Hauses aufgetaucht wären, hätten sich die Besitzer beeilt, sie weiter weg zu vergraben, um die Aufmerksamkeit der Archäologen nicht zu erregen…
1988
Ein Fehler in der Kopie!
Im Jahr 1988 erstellte Professor Denis Knoepfler eine erste Wissensstandsanalyse über das Heiligtum der Artemis Amarysia. Basierend auf den vorliegenden Hinweisen, kam er zum Schluss, dass die von Strabo angegebene Entfernung nicht korrekt ist. Ihm zufolge passierte zu Beginn dieses Rätsels ein Kopierfehler: Im Mittelalter, als byzantinische Mönche den Text von Strabo kopierten, wurden die in Ziffern geschriebenen Zahlen in alphabetischen Buchstaben niedergeschrieben.
Nun, in diesem System wird die Zahl 7 (ἑπτά) durch den Buchstaben ζ (zeta) transkribiert, der sehr nahe an ξ (xi) liegt, welches die Zahl 60 (ἑξήκοντα) darstellt. Ein byzantinischer Kopist könnte also sehr leicht ein ζ mit einem ξ vertauscht haben… Man glaubt nun, dass der ursprüngliche Text von Strabos Geografie eine Entfernung von sechzig Stadien, nicht sieben, zwischen Eretria und Amarynthos erwähnt. Diese sechzig Stadien entsprechen ca. 10,8 km, also der genauen Entfernung zwischen dem östlichen Tor von Eretria und der Landzunge von Paleoekklisies – in unmittelbarer Nähe von Amarynthos.
2003-2004
Die Schlinge zieht sich zu
Ein Team von Archäologen der Schweizer Schule für Archäologie in Griechenland führt eine geophysikalische Untersuchung im Gebiet von Paleoekklisies durch. Diese Technik wird häufig in der Archäologie eingesetzt, um das Vorhandensein von Überresten, die an der Oberfläche nicht sichtbar sind, zu erkennen. Das Auftreten zahlreicher Mauern zeigt bei der Vermessung den Reichtum des Untergrundes von Amarynthos.
2006
Ein seit prähistorischer Zeit bewohnter Ort
Die ersten archäologischen Untersuchungen nördlich des Paleoekklisies-Hügels haben einige Überreste ans Licht gebracht. Es handelt sich nicht um eine heilige Stätte, sondern einen prähistorischen Lebensraum.
Nach der Ausgrabung erregt ein grosser Marmorblock auf einem Erdhaufen neben einem sich im Bau befindlichen Haus die Aufmerksamkeit der Archäologen. Er gehört zu einem monumentalen Bauwerk, das wahrscheinlich von den Bauarbeiten betroffen war. Das ist der Ort zum Graben!
2007
Endlich etwas Greifbares!
Im Sommer 2007 führten die Archäologen der Schweizer Schule neue Forschungssondierungen durch, diesmal am Fusse des Hügels. Zwei Wochen lang wurde mit einer Spitzhacke ein Loch gegraben – zwei Meter tief – und immer noch nichts…
Am letzten Tag der Grabung wird bei der Säuberung der Sondagenränder die Vorderseite eines massiven Blocks freigelegt. Nur um wenige Zentimeter verfehlten die Archäologen die monumentalen Reste eines 70 Meter langen Portikus, der die heilige Stätte begrenzte.
2012-2016
Die Beweise häufen sich
Zwischen 2012 und 2016 setzte ein griechisch-schweizerisches Team die Ausgrabungen am Fuße des Hügels fort und legte eine grosse östliche Säulenhalle, Stoa genannt, frei, die in das 4. Jahrhundert v. Chr. datiert wird. Diese Art von Konstruktion, die bei Versammlungen Schutz vor dem Wetter oder der Sonne bot, war in den grossen Heiligtümern der griechischen Welt sehr verbreitet.
In den tieferen Schichten legten die Archäologen auch ein grosses, älteres Gebäude frei, das auf die archaische Periode (7. Jahrhundert v. Chr.) datiert wird.
2017
Die Göttin wird am helllichten Tag enthüllt
Die seit 2007 aufeinander folgenden Grabungskampagnen haben einen grossen Portikus und mehrere weitere Gebäude freigelegt. Die Stätte ist von grosser Wichtigkeit, aber es fehlt der Beweis, dass es sich tatsächlich um die so gesuchte heilige Stätte der Artemis handelt: Bis 2017 Kacheln, die mit dem Namen der Artemis gestempelt sind, sowie Sockel von Statuen mit Inschriften, welche Artemis, Apollo und Leto gewidmet sind, entdeckt werden und damit die letzten Zweifel an der Identifizierung der Stätte beseitigt werden: Es ist tatsächlich das Artemision von Amarynthos.
2020
Das Herz der heiligen Stätte
Die heilige Stätte ist da, aber wo befindet sich der Tempel der Göttin? Ist es das grosse Gebäude im Westen des Geländes, das teilweise von einem modernen Haus verdeckt wird? Die Grabungsaktion im Sommer 2020 bestätigt diese Hypothese mit der Entdeckung eines reich bestückten Depots im Inneren des Gebäudes inklusive schwarzfiguriger Vasen, Bronzegefässen, Terrakottafiguren, Siegeln und Ornamenten aus verschiedenen kostbaren Materialien.